Der türkische Schriftsteller Ahmet Hamdi Tanpınar definiert die Begegnung der Kulturen als zwei einander kostende Existenzen. In diesem wechselseitigen Kontakt nimmt jede Kultur das kulturelle Element auf, das ihrem Geschmack entspricht. Er fügt es zu sich selbst hinzu und macht es zu einem Teil von sich. Als Verkörperung von Tanpınars Metapher entwickeln sich Kochkulturen mit der Magie der Geschmäcker anderer Küchen. Obwohl Kochkulturen, die sowohl das Erbe der gesamten Menschheit als auch lokale Besonderheiten in sich tragen, mit verschiedenen nationalen Namen wie Französisch, Arabisch und Türkisch bezeichnet werden, tragen sie das gemeinsame und grenzenlose Wissen der Menschheit in sich. Sie sind zu alt und komplex, um national zu sein.
Wir laden Sie ein, die kulturelle Transkulturalität von Küchen genauer unter die Lupe zu nehmen und über das Zusammenspiel der Geschmäcker bei zwei Veranstaltungen nachzudenken. In der ersten Veranstaltung wird Edouard de Laubrie, einer der Kuratoren des MUCEM-Museums in Marseille, die Idee der nationalen Küche in Frage stellen und erklären, wie Küchen unter den Einflüssen verschiedener Kulturen entstanden sind. In der zweiten Veranstaltung wird Andrea Hofmeister von der Universität Graz in einem Workshop zunächst anhand eines ins Deutsche übersetzten Kochbuchs drei arabische Gerichte aus dem 11. Jahrhundert und deren deutsche Übersetzungen aus dem 15. Jahrhundert zubereiten; und anschließend über mögliche Einflüsse der arabischen Gerichte in der europäischen Küche sprechen.
Vortrag: Weltküche: Unendliche Flüsse
Ab 19. Jahrhundert werden parallel zur Konstruktion von nationalen Identitäten auch die nationalen Küchen erfunden. Heute werden jedoch die Nahrungsmittel und kulinarische Aufbereitungsarten der Speisen von UNESCO als immaterielles Kulturerbe der Menschheit aufgelistet. Mit weltweiter Globalisierung und durch Migrationsbewegungen kann man heute viele Küchen der Welt fast überall schmecken. Pizza, Kebab und Sushi sind die plakativen Beispiele.
Kulinarische Innovationen sind permanent im Wandel begriffen; mehrere simultane Bewegungen zeichnen sich weltweit aus; kleine Minderheiten machen weiterhin ihre Beträge; neue agrikulturelle und industrielle Produkte kommen in den Markt. All das bewirkt, dass unsere Küchen und Geschmäcke einem stetigen Wandel unterworfen sind und vor keiner Grenze halt machen. Um es kurz zusammenzufassen: wir leben in einer Zeit, in der die nationale Grenzziehungen ihre Kraft einbüßen und die Küchen ihren transkulturellen Charakter zurückerlangen. Edouard de Laubrie wird einen Vortrag über die Weltküche halten, der die Geschichte des Essens von historischen Anfängen bis zur Gegenwart umfassen, die die historischen und aktuellen Bewegungen der Kulinarik aufzeigen wird.
Edouard de Laubrie, Manager der Kollektionen und Forschung, verantwortlich für Agrikultur und Nahrung beim Museum European and Mediterranean Civilizations, MUCEM, Marseille, Kurator der derzeitigen Ausstellung „Le grand Mezze“ (www.mucem.org/en/grand-meze).
Die Veranstaltung findet mit der freundlichen Unterstützung vom Volkskundemuseum Wien statt. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei!
Datum: 16.04.2024, 19:30 Uhr
Ort: Volkskundemuseum Wien, Laudongasse 15–19, 1080
Vortrag & Workshop: Speisen, Übersetzung, Übertragen der Kulturen im Europäischen Mittelalter
Könnte ein aus dem arabischen Raum stammendes Gericht in der heutigen österreichischen Küche aufgenommen worden sein? Wie verbinden Küchen die Menschen? Wie vollzieht sich der Kulturtransfer still und unbemerkt? Begleitend zu diesen Fragen wird Forscherin Andrea Hofmeister einen Vortrag und einen Workshop zum Thema Transfer der Kochkultur halten. Im Workshop wird sie zeigen, wie sich einige Gerichte durch kulturellen Transfer übertragen haben, indem sie sie nach ihren ursprünglichen und übersetzten Rezepten kochen wird.
Speisen sind ein völkerverbindendes Element. Kulinarische Vernetzungen sowie Traditionswege von Ernährungslehren und -gewohnheiten sind nicht immer leicht ausfindig zu machen. Dennoch weiß man, dass es sie von der Antike bis zur Gegenwart gegeben hat. Besonders klar ist, dass die europäischen und orientalischen Gepflogenheiten beidseitig transferiert wurden. Ein tolles Beispiel dafür bietet die Übersetzung vom Koch- oder Arzneibuch Minhaj al-bayān des Bagdader Arztes Ibn Djazla im 11. Jh. Dieses Buch wird durch den oberitalienischen Medicus Jambonino von Cremona im 13. Jh. mit dem Titel Liber de ferculis ins Latein übersetzt. Dieses wird dann mit dem Titel Púch von den chósten im 15. Jh. ins Deutsche übersetzt.
Sie sind herzlich eingeladen zu diesem Vortrag und dem davor stattfindenden Workshop über den Transfer der arabischen Kochkultur im Mittelalter und insbesondere das Abenteuer eines Kochbuchs und der darin enthaltenen Gerichte. Im Workshop werden folgende Speisen mit ihren arabischen und übersetzten Namen gekocht: „Medhera“ und „Madira“; „Muhallabiyya“ und „Blanc manger“ (mit Fisch); für Veganer:innen werden Kürbis- oder Quittencremegerichte zubereitet. Außerdem werden wir einige Tage im Voraus mit der Zubereitung von „Fuqqa“ (fermentiertes Brotgetränk) beginnen.
Priv.-Doz. Dr. Andrea Hofmeister, Germanistin, Mediävistin, Bücher: Gerichte mit Geschichte, Transkulturelle Quellenstudien zur historischen Kulinarik und Diätetik und Speisen auf Reisen, zusammen mit Ylva Schwinghammer, Wolfgang Holanik, Lisa Glänzer, https://homepage.uni-graz.at/de/andrea.hofmeisterDie Veranstaltung findet mit der freundlichen Unterstützung vom Volkskundemuseum Wien statt. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei!
Datum: 19.04.2024, 16:00 Uhr (Workshop), 19:00 Uhr (Vortrag).
Ort: Volkskundemuseum Wien, Laudongasse 15–19, 1080