(photo © Barbara Schwarcz)
Mitte der 1970er Jahre, Ernst Jandl befindet sich in einer Schreibkrise. Die deutsche Sprache, in der er, wenn auch experimentell, schreibt und zu einem der avanciertesten und zugleich populärsten Dichter:innen der 1960er und 1970er Jahre wurde, scheint ihm keine neuen Möglichkeiten zu bieten. Da entdeckt er ein Idiom, das fernab literarisch-kultureller Codierung, zur schubhaften Verfertigung neuer Gedichte in einer Sprache führt, die er selbst als „heruntergekommen“ bezeichnen wird. Ans sogenannte Gastarbeiterdeutsch der Migrant:innen angelehnt, verwendet es elementare sprachliche Formen wie die Nennform, reduziert – scheinbar – ihre Mittel, nimmt einen verpönten, belächelten und zur Ausgrenzung der vor allem türkischsprachigen Migrant:innen instrumentalisierte Sprechweise auf und verwandelt diese: in Poesie.
Der Vortrag möchte diese frühe „Übersetzung“ oder Übertragung eines sozial marginalisierten Sprachcodes in die Dichtung nachzeichnen, beschreiben und ggf. mit anderen vergleichbaren Projekten der späteren Lyrik- und Literaturgeschichte in Verbindung bringen. Könnte man die Gedichte in „heruntergekommer sprache“ als Modell einer Sprache der Zukunft verstehen? Ihre Unfertigkeit als Quellcode für Poesie schlechthin? Jandls Neugierde und Interesse für Anderssprachiges als Vorbild zur Entfremdung des sogenannten „eigenen“, das oft zur Norm erhoben wird und damit Zweiklassengesellschaften begründet?
Michael Hammerschmid, Dichter, Kurator vom Internationalen Lyrik-Festival Dichterloh in der Alten Schmiede und Lehrbeauftragter für Dichtung und Poesie an der MDW. Zu Ernst Jandls sog. „heruntergekommener sprache“ hat er gem. mit Helmut Neundlinger das Buch von einen sprachen, poetologische Untersuchungen zu Ernst Jandl geschrieben. Mehrere Preise: Reinhard Priessnitz-Preis 2009 und den Heimrad-Bäcker Förderpreis 2015 (für seine Gedichte); Mira-Lobe-Stipendium, Josef Guggenmos-Preis 2018, Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien 2022, österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2023; Karl Bruckner Preis 2023 (für seine Gedichte für Kinder und Jugendliche). Verschiedene Kooperationen mit Museen: Kindermuseum zoom, Sigmund Freud-Museum, Wien-Museum. Gedichtbände: nester. gedichte, schlaraffenbauch. Gedichte für Kinder und Erwachsene; wer als erster. kindergedichtbilderbuch.
Datum: 15.10.2024, 19.00 Uhr
Ort: Literaturhaus Wien, Veranstaltungseingang, Zieglergasse 26A, 1070 Wien
Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit Literaturhaus Wien. Freier Eintritt!