Das Buch, auf das wir uns bei dieser Lesung konzentrieren werden, heißt nachschrift (Türkisch tutanak), es ist ein Werk der dokumentarisch-konkreten Dichtung über den Holocaust. Dass sein Gegenstand der Völkermord ist, macht es zu einer schwierigen, vielleicht unmöglichen literarischen Aufgabe der Darstellbarkeit. Denn, so Friedrich Achleitner in seinem Nachwort zur „nachschrift“:„
Die Totalität der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie ist weder beschreib- noch darstellbar. Es gibt kein Medium, keine Ersatzwirklichkeit, die diese tatsächliche, totale Wirklichkeit vermitteln könnte. Jeder Versuch gerät zur Übertreibung des Nicht-Übertreibbaren, wird damit zum Surrogat oder zum Kitsch.“
Es ist nicht möglich, diesen Sätzen zu widersprechen. Wir müssen dennoch Wege finden, den Genozid zu vermitteln. Aber wie? Wie hat Heimrad Bäcker das gemacht?
Heimrad Bäckers nachschrift besteht nur aus Zitaten von Täter- und Opfertexten. Dadurch bekommt das Werk seinen dokumentarischen Charakter. Weil man aber die Tätertexte nicht in der Form, wie sie in Dokumenten stehen, lassen kann, weil sie Desensibilisierungs- und Vertuschungsbeispiele sind, müssen sie dechiffriert werden. Zu diesem Zweck hat Bäcker die Techniken und Formen verwendet, wie sie die Avantgarden des 20. Jahrhunderts hervorgebracht haben. So wurde die größte Grausamkeit des Jahrhunderts mit den literarischen Errungenschaften der Avantgarden des Jahrhunderts dechiffriert und zu uns gebracht. Dies macht Nachschrift unter anderem eines der interessantesten und wichtigsten Werke des Jahrhunderts und zu einem Werk, das beim Nachdenken über die literarische Präsentation von Völkermord nicht übersehen werden darf.
An diesem Abend möchten wir Ihnen Heimrad Bäckers Weg zeigen und über ihn mit Ihnen diskutieren. Erhan Altan und Thomas Eder werden Teile aus der Nachschrift vorlesen und danach für ein Gespräch zur Verfugung stehen.
Datum: 29. September, 19:00
Ort: Kulturzentrum im Amerlinghaus